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Grober Behandlungsfehler beim Krankentransport durch sitzende statt liegende Lagerung

Für die Notfallrettung und die Leitstellentätigkeit liegen Entscheidungen zum groben Behandlungsfehler schon vor. Das Oberlandesgericht Koblenz hat nun eine Entscheidung des Landgerichts Mainz bestätigt, dass erstmals auch einen groben Behandlungsfehler beim Krankentransport annimmt.

Was war passiert?

Die KTW-Besatzung sollte eine Patientin nach Knie-OP aus dem Krankenhaus nach Hause befördern. Auf der entsprechenden Verordnung war ein liegender Transport vorgesehen. Die Patientin selbst gibt an, auch sitzen zu können und wird so transportiert. Dabei wird das betroffene Bein mit einer Schiene und durch einen „Unterbau“ hochgehalten. An der Wohnung der Patientin angekommen wird sie in einem Rollstuhl (Tragestuhl?) die Treppe hochgetragen.

Soweit zunächst ein unauffälliger Krankentransport.

Allerdings hat die Patientin kurz nach Transportende Schmerzen und danach ein Gefühl der Instabilität im Knie. Es zeigt sich im weiteren Verlauf, dass das Knie erneut frakturiert ist. Es erfolgt eine weitere OP mit langdauernder Therapie.

Die Entscheidung des Gerichts

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens bewertete das Gericht den sitzenden Transport der Klägerin als groben Behandlungsfehler. Angesichts der Verordnung eines liegenden Transports hätte kein sitzender Transport durchgeführt werden dürfen. Dies gelte auch, als die Rettungssanitäter am Ziel angekommen bemerkten, dass das Treppenhaus für einen liegenden Transport nicht groß genug war. Keinesfalls hätte die KTW-Besatzung einen sitzenden Transport durchführen dürfen, vielmehr hätte eine Rücksprache mit einem Arzt erfolgen müssen, wie der Transport im Treppenhaus nach oben erfolgen solle.

Das Landgericht hat den Träger des Rettungsdienstes zu 10.000,-€ Schmerzensgeld verurteilt.

Kurze Betrachtung

Die Annahme eines groben Behandlungsfehlers in diesem Fall erstaunt den rettungsdienstlichen Praktiker. Wenn man die Entscheidung vollständig Ernst nimmt, dürfte Rettungsdienst-Personal auch nicht kurzfristig aus angenommen guten Gründen von der verordneten Beförderungsweise abweichen. Vielmehr müsste dann Rücksprache mit einem Arzt genommen werden. Wörtlich aus dem Urteil „Das müssen nicht zwingend die Ärzte sein, die den Patienten vorbehandelt haben, jedenfalls aber Ärzte, die qualifiziert sind, um fachgerechte Anweisungen zu geben.“

Diese Forderung in der rettungsdienstlichen Praxis umzusetzen, dürfte spannend werden…

Zur Problematik des „groben Behandlungsfehlers“ und den rechtlichen Folgen habe ich hier bereits geschrieben.

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Volltext der Entscheidung: LG Mainz 2 O 368 15 Urteil vom 28. April 2017

Grober Behandlungsfehler durch Leitstelle: Ergänzende Anmerkungen und Hinweise

Mein Beitrag zu der Entscheidung des Kammergerichts (KG), das Konstrukt des groben Behandlungsfehlers auch auf die Leitstelle anzuwenden, hat sehr viel Resonanz gefunden. Wie bereits angekündigt, hier einige ergänzende Anmerkungen dazu:

 

Was bedeutet grober Behandlungsfehler?

Ein grober Behandlungsfehler ist ein medizinisches Fehlverhalten, das „aus objektiver fachlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabes nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht schlechterdings nicht unterlaufen darf“. In der Praxis holt das Gericht im Prozess das Sachverständigen-Gutachten eines Arztes ein. Dieser äußert sich dann auch zu der Frage, ob medizinisch-fachlich ein grober Behandlungsfehler vorliegt.

 

Wozu führt der grobe Behandlungsfehler rechtlich?

Beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers kommt es dann zu einer Beweislastumkehr. Sofern der Patient einen Schaden erlitten hat und ein grober Behandlungsfehler vorliegt, wird davon ausgegangen, dass dieser grobe Behandlungsfehler auch zum Schaden geführt hat. Theoretisch kann der Behandler, hier also der Träger des Rettungsdienstes bzw. der Leitstelle, nachweisen, dass er den Schaden gerade nicht verursacht hat. Dies ist praktisch aber oftmals nicht möglich.

Im konkreten Fall müsste der Rettungsdienst zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass der Patient durch die um 10 Minuten verzögerte ärztliche Behandlung keinen weiteren Schaden erlitten hat. Eine bloße Behauptung ist nicht ausreichend. Man müsste also den Gesundheitszustand des Patienten zu Beginn und zu Ende dieser 10 Minuten vergleichen können. Das ist praktisch nicht möglich. Eine Verurteilung steht damit so gut wie fest.

 

War der RTW wirklich nur mit Rettungsanitätern (520 Stunden Ausbildung) besetzt?

Nein. Das Kammergericht schreibt von „mit der Behandlung per se überforderten Rettungssanitäter[n]“ (KG, Beschluss vom 20. März 2017, dort II. 1. j), juris Rn. 18). Der entsandte RTW war aber mindestens mit einem Rettungsassistenten besetzt. Dies ergibt sich aus anderen Stellen der Beschlüsse (zum Beispiel KG, Beschluss vom 20. März 2017, dort II. 1. a), juris Rn. 9).

 

Der Vorfall ist aus 2007. Heute würde das Gericht doch sicherlich anders entscheiden. Es gibt Notfallsanitäter, die RTW sind besser ausgestattet…

Das Kammergericht differenziert nicht näher zwischen den einzelnen rettungsdienstlichen Ausbildungen. Es gibt „Arzt“ und „Nicht-Arzt“. Dies entsprach schon in einer früheren Entscheidung dem dortigen Sprachgebrauch (Kammergericht, Urteil vom 19. Mai 2016, 20 U 122/15). Persönlich habe ich daher wenig Hoffnung, dass zumindest das Kammergericht den Fall aktuell und beim Einsatz von Notfallsanitätern anders beurteilen würde.

 

Mit einer strukturierten oder standardisierten Notrufabfrage wäre das doch nicht passiert

Dem Fall lag offenbar die Nutzung einer strukturierten Notrufabfrage zugrunde. Das Gericht betont, dass es auf das formelle Ergebnis einer solchen Abfrage nicht ankommt. Beim Hinweis auf eine lebensbedrohliche Situation sei ein Notarzt zu alarmieren. Ein solcher Hinweis habe wegen der Vorerkrankung (Asthma) und den geschilderten Beschwerden hier vorgelegen.

 

Ist das Urteil auf andere Fälle bzw. Bundesländer übertragbar?

Das Urteil ist zunächst mal eine Einzelfallentscheidung. Die Neigung sich einer Rechtsauffassung anzuschließen, hier diesem eher unglücklichem Urteil, wird auch bei anderen Gerichten deutlich vorhanden sein. Zudem stammt die Entscheidung vom Kammergericht, was einem Oberlandesgericht gleichkommt und wurde auch durch den BGH bestätigt. Das Kammergericht hat offenbar auch selbst den Anspruch, einen bundesweiten Standard zu vertreten (KG, Beschluss vom 20. März 2017, dort II. 1. c), juris Rn. 11). Man wird daher in Zukunft davon ausgehen müssen, dass die Gerichte bei einer „Unter-Disposition“ durch die Leitstelle vermehrt einen groben Behandlungsfehler annehmen.

 

Wo finde ich die Entscheidungen?

Die Entscheidungen des Kammergerichts Berlin sind in meinem ersten Artikel unten verlinkt. Die spätere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist nicht veröffentlicht, dies spricht dafür, dass die Entscheidung des BGH nicht begründet war bzw. nur sehr kurz mit formellen Gründen versehen war. Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wären also keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten.

Die erste Entscheidung des Landgerichts Berlin ist ebenfalls (bisher) nicht veröffentlicht. Ich gehe aber davon aus, dass diese noch veröffentlicht wird.

 

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Grober Behandlungsfehler durch Rettungs-Leitstelle: Beweislastumkehr

Das Kammergericht Berlin hat den Träger einer Rettungsleitstelle zu Schadensersatz in Höhe von ca. 350.000,-€ verurteilt. Die Alarmierung nur eines Rettungswagens (RTW) zu Atembeschwerden eines Asthmapatieten sei ein „grober Behandlungsfehler“ gewesen. Damit werden die Grundsätze des groben Behandlungsfehlers erstmals auch auf die Notruf-Bearbeitung in der Rettungs-Leitstelle angewendet. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung bestätigt.

„Atembeschwerden“ vs. „Atemnot“: Notarztindikation

Im konkreten Fall war der Leitstelle beim Notruf von einem Dritten „Atembeschwerden bei einem Asthmapatienten“ geschildert worden. Die Leitstelle alarmierte daraufhin einen Rettungswagen (RTW), jedoch keinen Notarzt. Die Leitstelle nutzte dabei ein standardisiertes Abfrageverfahren. Der Notarzt wurde erst von der RTW-Besatzung nachalarmiert, es entstand eine zeitliche Verzögerung von ca. 10 Minuten.

Nachdem der Patient später verstorben war, machte die Krankenversicherung des Patienten gegen den Träger des Rettungsdienstes Schadensersatz geltend. Die Krankenversicherung behauptete, durch die um ca. 10 Minuten verzögerte ärztliche Behandlung seien diverse Gesundheitsschäden bis hin zur Schwerstpflegebedürftigkeit eingetreten.

Das Kammergericht Berlin gab der Versicherung Recht und verurteilte den Träger des Rettungsdienstes zu Schadensersatz von ca. 350.000,-€.

Selbst wenn der Leitstelle nur Atembeschwerden geschildert worden wären, hätte diese bei einem bekanntem Asthma-Patienten einen Notarzt alarmieren müssen. Die Nicht-Alarmierung eines Notarztes und Entsendung lediglich eines RTW sei dann ein grober Behandlungsfehler. Wörtlich schreibt das Kammergericht von „mit der Behandlung per se überforderten Rettungssanitätern“.

Grober Behandlungsfehler und Beweislastumkehr

Dieser grobe Behandlungsfehler können auch von nicht-ärztlichem Leitstellen-Personal begangen werden. Das Kammergericht vergleicht das Leitstellen-Personal insofern mit einer in der Notaufnahme tätigen Krankenschwester, die eine „Vordiagnose“ vornimmt.

Rechtliche Folge des groben Behandlungsfehlers ist dann eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten bzw. hier zugunsten der Krankenversicherung. Der beklagte Träger des Rettungsdienstes hätte nun nachweisen müssen, dass durch die verzögerte ärztliche Behandlung (hier um ca. 10 Minuten) dem Patienten kein Schaden entstanden ist. Dieser Gegenbeweis ist schwierig bis unmöglich zu führen.

Die Entscheidung des Kammergerichts ist rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof hat die Beschwerde hiergegen zurückgewiesen.

Damit wird das Instrument des groben Behandlungsfehlers mit beweisrechtlich erheblichen Folgen nicht nur auf den Einsatz von Rettungsfachpersonal (Kammergericht, Urteil vom 19. Mai 2016, 20 u 122/15) und beim Hausnotruf (Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Mai 2017, III ZR 92/16) angewandt, sondern auch auf die Leitstellen-Tätigkeit weiter ausgedehnt. Eine kompakte rechtliche Einschätzung folgt hier in Kürze.

 

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 20. März 2017, 20 U 147/16

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 19. Juni 2017, 20 U 147/16

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. März 2018, VI ZR 324/17 (nicht veröffentlicht)

7.000,- € Schmerzensgeld trotz einwandfreier OP: Fehlende Aufklärung

Eine jetzt von der AG Medizinrecht im Deutschen AnwaltVerein veröffentlichte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln verdeutlicht die große Bedeutung einer sachgerechten und vollständigen Aufklärung des Patienten vor einer Operation.

Der operierende Arzt hatte während eines Eingriffs eine Kniescheibe entfernt. Dies war medizinisch indiziert, auch ließ sich nicht nachweisen, dass die Durchführung der OP fehlerhaft war. Es lag also kein Behandlungsfehler vor. Allerdings hatte er zuvor die Patientin nicht über die mögliche Entfernung der Kniescheibe aufgeklärt. Will ein Arzt über die Option verfügen, während eines operativen Eingriffs die Kniescheibe zu entfernen, muss die Patientin darüber aufgeklärt werden, dass diese Maßnahme je nach intraoperativem Verlauf und Befund in Betracht kommen könnte, und sich eine entsprechend erweiterte Einverständniserklärung geben lassen. Rechtlich muss der Arzt über vorhersehbare Operationserweiterungen aufklären. Zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten muss eine Aufklärung umso eher erfolgen, je weiter gehend die Auswirkungen der zusätzlichen Maßnahme sind.

Das Oberlandesgericht Köln sprach der Klägerin daher ein Schmerzensgeld von 7.000,-€ zu.

(Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 11.01.2017 – 5 U 46/16)

Kategorie: Medizinrecht ·Schadensersatzrecht | von: Guido C. Bischof
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